28.04.2021
Interessen
Das Bildungsnetzwerk Aargau Ost verzichtet momentan Corona-bedingt auf Veranstaltungen. Untätig ist der Verein, der Bildungsanbieter*innen und Unternehmer*innen vernetzt, allerdings nicht – im Gegenteil: Er wächst und initiiert spannende Projekte.
«Öffentliche Veranstaltungen mit physischer Präsenz bis auf Weiteres abgesagt», teilte das Bildungsnetzwerk (Bn) Aargau Ost im Oktober 2020 mit. Anders als viele Institutionen, verlagerte man die Events nicht einfach ins Netz, denn: «Reine Online-Veranstaltungen passen nicht in ein Konzept, das von der unmittelbaren Begegnung und vom persönlichen Austausch lebt.»
Es ist nicht der letzte Eintrag auf der Webseite des Bildungsnetzwerks. Im Januar 2021 begrüsste der Verein mit der Stadt Brugg, dem BWZ Berufs- und Weiterbildungszentrum Brugg sowie der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW drei neue Mitglieder, kündigte einen Leistungsauftrag mit der Stadt Brugg an und konnte die Verlängerung der entsprechenden Vereinbarung mit der Stadt Baden bis 2024 bekannt geben. Im Februar wurde eine Jobplattform mit allen offenen Stellen und Lehrstellen in den Bezirken Baden und Brugg lanciert.
2009 ist der Verein, der damals noch Bildungsnetzwerk Baden hiess, mit der Vision angetreten, die Koordination der lokalen Bildungsanbieter ab Sekundarstufe I (Volksschule, Brückenangebote, Berufs- und Mittelschulen, Höhere Fachschulen, Hochschulen) untereinander sowie mit den ortsansässigen Unternehmen zu stärken. Dies als Plattform für den Wissens- und Erfahrungsaustausch, zur Bündelung der gemeinsamen Interessen und für die Ausrichtung der Angebote an den Bildungsbedürfnissen der lokalen Wirtschaft. Im Kleinen wird eine Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit von Arbeitnehmenden, im Grossen eine Steigerung der Standortattraktivität angestrebt. Es soll, so steht es in den Statuten, «die Verfügbarkeit bestens ausgebildeter Fachkräfte für die regionale Wirtschaft gesichert werden».
Bildung soll Menschen befähigen, ihre persönlichen und beruflichen Lebensbereiche selbstständig zu gestalten, indem sie ihre Kompetenzen, Potenziale und Möglichkeiten kennenlernen, um daraus umsetzbare Optionen für ein gelingendes Leben abzuleiten.
Das Bn Aargau Ost hat konkrete Vorstellungen, wie diese Ziele zu erreichen sind: durch Projekte, Veranstaltungen und Wachstum.
Future Booster ist ein solches laufendes Projekt, das «die Faszination aktueller Berufs- und Tätigkeitsfelder für Kinder und Jugendliche erlebbar machen soll». Anbieter*innen werden Aktivitäten wie Ferienkurse, ausserschulische Lernangebote, Schnupperlehren, Workshops und Besuche online stellen, Kinder und Jugendliche im Berufswahlalter ihre Interessen und Fähigkeiten. Weil künftig auch Lehrstellen auf der Plattform publiziert werden sollen und die Jugendlichen ihre Skills durch die Teilnahme an Aktivitäten – z.B. an einem Programmier-Workshop – verbessern und dokumentieren, kann Future Booster den Unternehmen passende Lernende bzw. den Jugendliche passende Lehrstellen vorschlagen.
Im Gegensatz dazu ist chagall kein eigenes, sondern ein Drittprojekt, an dem die Berufsfachschule Baden, die Kantonsschule Baden sowie verschiedene Oberstufen aus der Region beteiligt sind. chagall steht für «Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn». Das Mentoringprogramm soll talentierten und leistungsbereiten Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder aus finanziell bescheidenen Verhältnissen bei der Verbesserung von allgemeinen Kompetenzen wie Lerntechniken, Selbstorganisation, Motivation, Selbstbewusstsein und schulischen Kompetenzen wie Mathematik oder Deutsch helfen; dies mit dem Ziel, den Übertritt in die Lehre oder an die Kanti erfolgreich zu gestalten.
Neben den Projekten sollen Veranstaltungen die Vernetzung vorantreiben. Die bis 2020 durchgeführten öffentlichen und internen Events stiessen auf grosses Interesse. Für 2021 sind ab Ende August wieder Veranstaltungen geplant. In den Entwicklungsschwerpunkten 2021–2024 ist für 2022 ein regionaler Bildungstag als Option erwähnt. Drittens soll das Bildungsnetzwerk durch Wachstum noch breiter abgestützt werden. Momentan wird der Verein von über 30 Mitgliedern getragen – auch finanziell: Schulen, Firmen und Gemeinden. In den Zielen sind weitere Gemeinden in der Region erwähnt, die man gern gewinnen möchte. Wachsen möchte das Bildungsnetzwerk auch in der öffentlichen Wahrnehmung, indem der Newsletter von mehr Personen abonniert wird.
Die Stadt Brugg hat den Mehrwert des Bildungsnetzwerks erkannt. Stadtpräsidentin Barbara Horlacher sagte im September 2020 gegenüber der Aargauer Zeitung, als sie die Absichtserklärung zur Erweiterung des Netzwerks mitunterzeichnete: «Das Bedürfnis nach Vernetzung ist da. Die Bildungsangebote der beiden Regionen ergänzen sich hervorragend. Das Bildungsnetzwerk stärkt die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den Institutionen. Das ist ein Gewinn für die Menschen und die Wirtschaft in der Region.»
Das Gesicht des Bn Aargau Ost ist Thomas Eichenberger. Der frühere Geschäftsführer von ask! – Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf leitet die Geschäftsstelle seit ihrem Bestehen ab anfangs 2018. Im Interview mit Work Life Aargau erzählt er, was das Bildungsnetzwerk einzigartig macht.
Guten Tag Herr Eichenberger. Seit etwas mehr als drei Jahren leiten Sie die Geschäftsstelle des Bildungsnetzwerks, welches ist dabei Ihr bisher grösster Erfolg?
Antwort:
Das erste Highlight ist selbstredend, dass so etwas wie ein Bildungsnetzwerk
überhaupt existiert. Hier leisten Baden und seit 2021 auch Brugg zusammen mit Bildungsinstitutionen
und Unternehmen zweifellos Pionierarbeit. Es ist uns gelungen, Bildung als Thema
zu stärken, in der regionalen Politik besser als bisher zu verankern und uns
als Ansprechpartner in Entwicklungsfragen und -projekten zu positionieren. Das
Bildungsnetzwerk Aargau Ost fungiert als Koordinationsstelle zwischen Bildung,
Wirtschaft und Politik und übernimmt die Rolle des Inkubators. Mitglieder und
Veranstaltungsteilnehmende berichten von neuen Kontakten,
Koordinationsprojekten und Impulsen.
Das
zweite Highlight ist der mehrjährige Leistungsvertrag. Er ist ein Bekenntnis zur
Bedeutung von Bildung in allen Lebenswelten und über die gesamte Lebensspanne
hinweg.
Und als
dritten Punkt erwähne ich gerne, dass der Stadtrat Baden das Bildungsnetzwerk
beauftragt hat, eine Strategie für Bildung zu erarbeiten, welche die
Gestaltungsmöglichkeiten auf kommunaler und regionaler Ebene aufzeigen soll
ohne bestehende Zuständigkeitsbereiche zu konkurrenzieren. Diese Arbeit ist
noch nicht abgeschlossen.
Wie grenzt sich das Bildungsnetzwerk von anderen «Vernetzern» wie zum Beispiel Pioneer City ab?
Pioneer City adressiert Unternehmer*innen und bietet direkte Unterstützung für Innovationen in der Region. Bildung ist ein wesentlicher Treiber, damit das überhaupt möglich wird. Ich arbeite daher quasi als «Bildungsvertreter» im Vorstand des Vereins Pioneer City mit. Die beiden Netzwerke ergänzen sich hervorragend. Zusammen veranstalten wir vom 10. – 12. September beispielsweise das Bootcamp Next.Entrepreneur.
Was kann das Bildungsnetzwerk konkret gegen den Fachkräftemangel leisten?
Wir können unkompliziert Bedürfnisse von Mitgliedern aufnehmen und dank intensiver Vernetzung nach pragmatischen Lösungen suchen. Das Stichwort heisst: Individualisierung. Es gibt keine Patentrezepte gegen Fachkräftemangel. Gute Bildung auf allen Stufen, für jedes Lebensalter und für alle Lebenswelten schafft aber nachhaltig Grundlagen gegen Fachkräftemangel. Das Bildungsnetzwerk sorgt für Sensibilisierung, gut adressierte Informationen und fachliche Beratung. Die Gremien der regionalen Politik haben das erkannt und ziehen das Bildungsnetzwerk als Ansprechpartner bei.
Haben sich die Bildungsbedürfnisse der lokalen Wirtschaft durch die Corona-Krise verändert?
Die Frage ist schwierig zu beantworten. Unmittelbar sind wenig Auswirkungen
spürbar. Viele Unternehmen verharren diesbezüglich in Warteposition. Führt uns
die Krise zu einer Reindustrialisierung und Regionalisierung? Wird die Zeit der
grossen Konzerne ablaufen und die Wirtschaft nur noch in agilen und situativ
zusammengesetzten Netzwerken funktionieren? Und welche Auswirkungen hat das
dann auf die Bildungsbedürfnisse?
Zweifellos aber ist das Bewusstsein für
permanente Bildung gestiegen. Unlearning, Reskilling und Upskilling sind die
viel zitierten Schlagworte dazu. Sie greifen meines Erachtens jedoch zu kurz. Persönlich
bin ich der festen Überzeugung, dass wir uns nicht ausschliesslich auf die
Bildungsbedürfnisse der Wirtschaft ausrichten dürfen. Gerade in der Krise zeigt
sich auch wie wichtig gute Bildung gerade auch für die gesellschaftliche
Entwicklung ist. New Work heisst dann in der Konsequenz halt auch New Education.
Bildung soll Menschen befähigen, ihre persönlichen und beruflichen
Lebensbereiche selbstständig zu gestalten, indem sie ihre Kompetenzen,
Potenziale und Möglichkeiten kennenlernen, um daraus umsetzbare Optionen für
ein gelingendes Leben abzuleiten. Wenn das gelingt, hat auch die Wirtschaft
weniger Nachwuchsprobleme.
Autor: CH Media, Interview mit Thomas Eichenberger (Leiter Geschäftsstelle Bildungsnetzwerk Aargau Ost)