05.05.2021

Auch mit einer Lehre kann man Karriere machen

Arbeitsleben

Für den beruflichen Aufstieg spielt es keine Rolle, ob man einen Beruf lernt oder das Gymnasium besucht. Das Schweizer Bildungssystem ist so durchlässig, dass man auch nach einem Lehrabschluss noch studieren kann. Dies zeigen die Statistik und prominente Beispiele.

Ist die Preisung der in der Schweiz besonders starken Berufsbildung nur ein Lippenbekenntnis? Die NZZ kommentierte im November 2020 in einem Schwerpunkt zum Thema: «Heute sagen immer mehr Eltern zu ihren Kindern: «Mach doch die Matura.» […] Gerade bildungsnahe Kreise betonen zwar gerne die Vorzüge der dualen Ausbildung, sie loben unsere Lehrberufe und die Aufstiegsmöglichkeiten danach. Aber die eigenen Kinder? Die sollen bitte schön ins Gymnasium gehen und danach studieren, und zwar an einer Universität und nicht etwa an einer Fachhochschule.» Dabei stehe Berufseinsteiger*innen nach einer Lehre vieles offen. Und gerade Jugendliche könnten heute noch gar nicht wissen, wo sie in fünf oder zehn Jahren im Berufsleben stehen würden. «Es sei ihnen vergönnt, einen Schritt nach dem anderen zu gehen.»

Durchlässigkeit oder: Alles ist möglich

Dass Karriereleitern heute eher den Treppen in Harry Potters berühmtem Schloss Hogwarts gleichen – sie ändern auf magische Weise ihre Richtung –, zeigt sich eindrücklich im Schema Bildungssystem Schweiz des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation. Da führen die Pfeile von der Sekundarstufe II (Berufslehre und Gymnasium) nicht nur senkrecht nach oben zu den weiterführenden Angeboten auf der Tertiärstufe (Höhere Fachschulen nach der Lehre und Hochschulen nach der Matur), sondern kreuz und quer durch das Bildungssystem. Da gibt es neben den «üblichen Wegen» – z. B. vom Eidg. Fähigkeitszeugnis EFZ (Lehrabschluss) zum Diplom HF – auch «mögliche Wege»: So kann man mit einer Berufsmatur in der Tasche dank Passerelle an der Uni studieren. Umgekehrt muss an eine Fachmatur nicht in allen Fällen ein Studium an einer Fach- oder Pädagogischen Hochschule anschliessen; der gymnasiale Weg kann auch in die höhere Berufsbildung führen. Kurz: Unser Bildungssystem ist sehr durchlässig. (Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation)

Konkrete Karrierebeispiele für die Durchlässigkeit des dualen Bildungssystems liefert die Plattform berufsberatung.ch des Schweizerischen Dienstleistungszentrums Berufsbildung SDBB. Hier eine Auswahl:

  • Ein Polymechaniker EFZ erwirbt sich das nötige Rüstzeug für eine eigene Firma mit Fachausbildungen zum Finanzplaner, Vorsorgeberater oder Technischen Kaufmann.
  • Eine Kauffrau EZF mit Berufsmatur wird dank Berufsprüfung Sozialversicherungsfachfrau oder Höherer Fachprüfung Sozialversicherungsexpertin zur Leiterin des internen Revisionsdienstes. Oder sie bildet sich an einer Höheren Fachschule zur Heimleiterin aus und studiert anschliessend an einer Fachhochschule Sozialarbeit, was sie zur Leitung eines Sozialdienstes qualifiziert.
  • Vom Strassenbauer EZF zum Bauführer oder -ingenieur wird man durch Fachausbildungen und Kurse zum Polier oder Vorarbeiter, durch eine Berufsprüfung Strassenbaupolier oder durch einen HF-Abschluss Dipl. Techniker Bauführung und Verkehrswegebau.
  • Mit Berufsmatur gelangt eine Elektroinstallateurin EZF an die Fachhochschule, wo sie Ingenieurin studieren und später den Job einer Projektleiterin erlangen kann.

Quelle: Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation

Immer mehr machen eine Matur

Auch die in den letzten zwanzig Jahren gestiegene Maturitätsquote ist ein Indiz dafür, dass Berufseinsteigerinnen und -einsteigern immer mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten offenstehen, was ihren Werdegang befördern kann. Per Ende 2018 hatten fast 41 Prozent der jungen Erwachsenen eine Matur erworben. Im Jahr 2000 lag die Quote noch bei rund 25 Prozent. Die gymnasialen Maturitäten machen zwar immer noch den grössten Teil aus, die Berufsmaturitäten haben jedoch aufgeholt. Und die ergänzende Passerelleprüfung als Türöffnerin zu universitären Hochschulen machten gemäss Statistik der Bildungsabschlüsse im Jahr 2019 insgesamt 1259 Personen – 2005 waren es erst 148 gewesen.

Mit Lehrabschluss zum Topmanager

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, was die Aufstiegschancen von Berufslernenden betrifft – mindestens an den Bildungsmöglichkeiten gemessen, denen quasi keine Grenzen gesetzt sind. Dass man es mit einem Lehrabschluss bis zum Topmanager bringen kann, zeigen aber auch prominente Beispiele. «Vom Stift zum Chef» betitelte die Aargauer Zeitung einst eine Story über folgende Wirtschaftsführer:

  • Hansueli Loosli war bis vor kurzem Verwaltungsratspräsident von Swisscom. Das Präsidium von Coop – er führte den Detailhandelsriesen 1997 bis 2011 als CEO – wird er demnächst abgeben. Loosli machte einst eine kaufmännische Lehre bei Volg.
  • Luftverkehrskaufmann lernte Harry Hohmeister, 2009 bis 2015 CEO der Swiss.
  • Eine Banklehre absolvierte Sergio Ermotti, bis 2020 CEO der UBS und neu im Verwaltungsrat von Swiss Re, wo er demnächst das Präsidium übernehmen wird.
  • Ebenfalls Bankkaufmann lernte einst Oswald Grübel, ehemaliger Konzernchef von Credit Suisse und dann UBS.
  • Vom gelernten Offsetdrucker bis zum CEO des Medienkonzerns TX Group (ehemals Tamedia) brachte es Christoph Tonini.
  • Bis 2018 war André Wyss Spitzenmanager bei Novartis. Rund 30 Jahre zuvor hatte er beim Vorgängerunternehmen Sandoz Chemikant gelernt. Heute ist Wyss Chef des grössten Schweizer Baukonzerns Implenia.
  • Fun Fact: Auch viele Promis aus der Unterhaltungsbranche sind ehemalige Lernende. Rapper Bligg (Sanitärinstallateur), Schlagersängerin Beatrice Egli (Coiffeuse), Mundartrocker und «Büezer» Gölä (Maler) oder DJ Antoine (Speditionskaufmann) sind aber wohl nicht über Weiterbildungen zu ihrer jetzigen Position aufgestiegen.

«Mit einer Ausbildung ist alles möglich – unabhängig davon, mit welcher Lehre man seine Karriere startet», folgerte 2018 der Blick aus seiner Liste «Diese Prominenten starteten als Stift». Und die Aargauer Zeitung rechnete vor: «In der Geschäftsleitung der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber sassen in den letzten neun Jahren mehr als 200 Personen, die ihre berufliche Karriere mit einer Lehre lanciert haben.»

Frauenkarrieren in «Männerdomänen»

Die genannten Beispiele bestätigen die Statistik, wonach Frauen in Führungspositionen untervertreten sind. Deren Anteil hat in den letzten 25 Jahren minim zugenommen und beträgt aktuell etwas mehr als einen Drittel. Leicht tiefer liegt die Quote in den Unternehmensleitungen. Die Plattform Businessfrau.ch schreibt zum Thema Karriere ohne Studium, es gebe «zahlreiche Ausbildungsberufe, die Ihnen in der Schweiz als Frau mindestens so viele Karrierechancen bieten wie ein Studium. Besonders interessant für weibliche Schulabgänger sind technische und handwerkliche Berufe, weil viele Arbeitgeber gerne Frauen einstellen würden, diese sich aber nach wie vor in der Regel eher selten trauen in diesen «Männerdomänen» beruflich Fuss zu fassen. Sie müssen also wenig Konkurrenz von Seiten anderer weiblicher Bewerber fürchten, wenn Sie sich für einen handwerklichen oder technischen Beruf entscheiden.» Auch unter den besonders gut bezahlten Jobs gebe es solche – wie in der Luftfahrt oder in der Finanzbranche –, wo die weibliche Konkurrenz noch sehr gering sei.

Autor: CH Media

Quellen: Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation

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