04.11.2020
Arbeitsleben
Konjunkturprognosen sind komplex: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hängt von zahlreichen Faktoren ab, und ausserordentliche Ereignisse wie die Coronavirus-Pandemie können die Situation schnell verändern. Im Aargau wird aktuell mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 4 Prozent bis Ende 2020 gerechnet.
«Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.» Dieses Bonmot, das unterschiedlichen Quellen zugeschrieben wird, trifft voll auf die Herausforderung zu, in Zeiten einer Pandemie mit massiven wirtschaftlichen Einschränkungen und Verwerfungen eine verlässliche Aussage über die künftige Entwicklung der Konjunktur zu machen. Man braucht dafür nur die verschiedenen Prognosen der letzten Monate zu betrachten.
Die Aargauische Kantonalbank (AKB) und Aargau Services geben monatlich das Aargauer Konjunkturbarometer heraus. Dieses Messinstrument kann um einen langjährigen Durchschnitt von 100 Punkten nach oben oder unten ausschlagen. Im April 2020, während des Lockdowns, rutschte der Index auf ein historisches Tief von unter 50 Punkten. (Die 100er-Marke hatte er bereits nach Mitte 2018 unterschritten.) Mit den Lockerungen für die Wirtschaft im Sommer kam der Aufschwung. Anfang Oktober notierte das Aargauer Konjunkturbarometer wieder bei fast 81 Punkten. Es verzeichnete sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch bei den Exporten einen Anstieg. Die Zahl der offenen Stellen lag trotz nach wie vor verbreiteter Kurzarbeit nur noch 14 Prozent unter dem Vorjahreswert. Und zum Exportwachstum trugen neben der chemisch-pharmazeutischen Industrie auch der Versand von Schmuck und die Ausfuhr von Metallen, Maschinen und Elektronik bei. Unter dem Strich rechnet die ABK bis Ende 2020 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4 Prozent.
Ähnlich verhalten-positiv klang es noch Mitte Oktober beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Hier ging eine Expertengruppe des Bundes in ihrer Konjunkturprognose von minus 3,8 Prozent beim Bruttoinlandprodukt (BIP) aus. Diese Zahl ist um Sportevents bereinigt, zumal Grossveranstaltungen von der Coronavirus-Pandemie besonders schwer getroffen werden. Während der diesjährige Wirtschaftseinbruch als «weniger stark als befürchtet» bezeichnet wird, wagt das Seco einen Ausblick auf Ende 2021. Dann sollte sich das BIP wieder auf Vorkrisenniveau befinden – vorausgesetzt, «dass weder in der Schweiz noch bei den wichtigsten Handelspartnern ein weiterer breitflächiger Lockdown verhängt wird». Bekanntlich hat sich die epidemiologische Lage in der zweiten Oktoberhälfte wieder deutlich verschlechtert.
Beim Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Economics schrieben die Spezialisten im September, eine nachhaltige Verbesserung sei «erst mit der breitflächigen Verfügbarkeit eines Impfstoffes zu erwarten, wovon wir erst für Mitte 2021 ausgehen». Ihre damalige BIP-Prognose: Minus 4,5 Prozent bis Ende 2020.
Ende Oktober veröffentlichte die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich ihr Barometer. Nach einer kurzen Erholungsphase sank der Index im Oktober erstmals wieder. Und die Konjunkturaussichten für die Schweiz seien «angesichts der Pandemiesituation und der daraus voraussichtlich resultierenden Einschränkungen verhalten», heisst es in der Mitteilung des KOF Konjunkturbarometers.
Damit bestätigen sich Befürchtungen, wie sie zum Beispiel in einer Umfrage des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse im September geäussert wurden: Nach den ersten Erholungsschritten mache sich bei Unternehmen, Branchenverbänden und Handelskammern bereits wieder Skepsis breit, fassen die Autor*innen zusammen. Über die Hälfte der Befragten prognostizieren Absatzschwierigkeiten, 43 Prozent befürchteten Arbeitsausfälle wegen Quarantäne oder Isolation von an Covid erkrankten Mitarbeitenden. Economiesuisse kam zum wenig verheissungsvollen Schluss, dass Entlassungen, Betriebsschliessungen und Konkurse im Winter zunehmen würden, auch wenn vieles von den «Entwicklungen in den kommenden Wochen und Monaten» abhänge. Zwei Monate nach der Umfrage kann von der dafür nötigen «Normalisierung des Geschäftsbetriebs» zumindest in gewissen Branchen keine Rede sein.
Weil sich die wirtschaftliche Situation mit den jüngsten Coronavirus-Einschränkungen im In- und Ausland wieder verändert hat, ist die Halbwertszeit von Konjunkturprognosen sehr kurz. Wer einigermassen verlässliche Aussagen will, muss die Entwicklungen und die jeweils neusten Erhebungen abwarten. Die AKB publiziert ihr Konjunkturbarometer jeweils einmal pro Monat hier.
Gespannt sein darf man auch auf das nächste KMU-Barometer des Aargauischen Gewerbeverbands (AGV). Der AGV befragt seine Mitglieder einmal pro Semester und lässt sie die Auftragslage sowie den Bestand an Mitarbeitenden abschätzen. Im 1. Halbjahr 2020 rutschte der «Notenschnitt» der aktuellen Auftragslage von 4,9 (2. Halbjahr 2019) auf 4,3 und damit von gut auf genügend. In der Verbandszeitschrift Aargauer Wirtschaft lässt sich nachlesen, dass die Antworten sehr stark um den Durchschnitt herumstreuen: «Ungenügend wird die aktuelle Auftragslage durch die Branchen Hotellerie, Transport und Metallverarbeitung sowie aus den Einzugsgebieten der Gewerbevereine Eigenamt, Entfelden und Reusstal gemeldet.» Die befragten AGV-Mitglieder gaben sich vor den Sommerferien dennoch vorsichtig optimistisch, was das nächste Jahr betrifft: Die künftige Auftragslage wurde als quasi unverändert eingeschätzt, ebenso der künftige Bedarf an Mitarbeitenden. Wie das Bild im laufenden Semester aussieht, wenn die neuen Coronavirus-Einschränkungen in die Einschätzungen und Prognosen der Gewerbetreibenden und Berufsverbände einfliessen, wird das nächste KMU-Barometer zeigen.
Autor: CH Media