10.02.2021

Sie finden keine Perlen? Züchten Sie Austern! – Teil 1 von 3

Unternehmen

Wie können Aargauer Unternehmen die Risiken des Fach- und Führungskräftemangels erfolgreich angehen und Führungskräfte wie Mitarbeitende motivieren, internes Potential besser zu entwickeln?

Sie suchen nach qualifizierten Mitarbeitenden und finden diese nicht am Markt? Dann schauen Sie nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen: Welche Personen in Ihrer Organisation haben Potential, aber noch Wissenslücken? Wie kann es gelingen, diese Lücken effizient zu schliessen? Wie organisieren Sie Wissenstransfers intern?

Employer Branding, als unternehmensstrategische Massnahme verstanden, hat das Ziel, ein Unternehmen insgesamt als attraktiven Arbeitgeber darzustellen und sich von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt positiv abzuheben. Marketing ist das eine – aber was geschieht danach? Nur wenn es gelingt, die Einarbeitungsphase von neuen Mitarbeitenden möglichst erfolgreich für Person und Organisation zu gestalten, dann kann der hohe Marketinganspruch auch in der Realität eingelöst werden.

Dieser Beitrag ist Teil von einer Reihe zum Thema Wissenstransfer - hier geht es zu Teil 2.

Wissenstransfer, eine praxistaugliche Möglichkeit für Grossfirmen und KMU

Ein Interview von Benno Ackermann von wissenstransfer.ch mit Martin Brokatzky, Head of Improve Plant, DSM, Werk Sisseln.

Benno Ackermann: Weshalb ist das Thema Wissenstransfer für die DSM / für Dich von Bedeutung?

Martin Brokatzky: Für mich ist das Thema Wissenstransfer für die Mitarbeiterentwicklung von grosser Bedeutung. Da geht es vor allem um zwei Bereiche:
Zum einen ermöglicht es unserer Organisation, das Vorwissen junger Leute mit einer strukturierten Methodik im Arbeitsalltag effizient weiter zu entwickeln. Dabei kann das Insider-Wissen unserer langjährigen Experten weitergegeben werden. Es ist wichtig, dass neue Mitarbeitende auf komplexe und herausfordernde Aufgaben so gut wie möglich vorbereitet werden.
Zum anderen kann damit das in der Praxis relevante Wissen von älteren Mitarbeitenden transparent gemacht und in der Organisation erhalten werden. Dies zum Beispiel bei Pensionierungen von Schlüsselpersonen.

Benno Ackermann: Employer Branding kann durch Fringe Benefits und andere «Geschenke» umgesetzt werden. Oder auch im Arbeitsalltag gelebt sein.

Martin Brokatzky: Ja, in diesem Kontext sehe ich den Wissenstransfer und die damit verbundenen Zeitgefässe als Employer Branding im Berufsalltag. Das ausgewertete Feedback aus den begleiteten Wissenstransfers zeigt, dass die Mitarbeitenden die Struktur, die Austauschgefässe und den Prozess schätzen. Damit ist ein Benefit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich.

Benno AckermannKönnte man sagen, dass die Firma damit vorlebt: "Wir meinen es ernst mit der Mitarbeiterentwicklung. Wir fördern Mitarbeitende im beruflichen Alltag."

Martin Brokatzky: Ja, das ist ein klares und gut verstandenes Zeichen, wenn die Firma so Ressourcen investiert. Damit zeigt sie, dass sie es mit den Menschen ernst meint, sie motiviert und eben auch einen direkten, praktischen Nutzen ermöglicht.

Benno AckermannWie haben Deine Mitarbeitenden / Du selber reagiert auf den Wissenstransfer?

Martin Brokatzky: Meine Mitarbeitenden haben das positiv aufgenommen und geschätzt. Ich war erfreut, dass sie teilweise sogar Ideen aus der Methodik abgeleitet haben, wie im normalen Arbeitsalltag das Wissen innerhalb der Organisation transparenter gemacht werden kann. Z.B. mit der grafischen Darstellung der Arbeitslandschaft (Worksphere Map). Diese wird als roter Faden, teilweise in angepasster Form, bei Wissenstransfers zwischen Abteilungen verwendet. Gerade in unser Organisation Improve Plant ist es von Nutzen, wie Wissen effizient für die Produktion verfügbar gemacht werden kann.
Für mich als Führungskraft war es damit möglich, mich eher auf strategische und organisatorische Themen zu konzentrieren während der Einarbeitung neuer Mitarbeitenden.

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Aus meiner Sicht ist der Wissenstransfer eindeutig eine Führungsaufgabe. Ich fühle mich verantwortlich für meinen Bereich, für das Knowhow und die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden.
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Martin Brokatzky

Benno AckermannVom zeitlichen Aspekt betrachtet – ist die Vorgehensweise effizient? Wieviel wurde in die Begleitung des Wissenstransfers investiert?

Martin Brokatzky: Um es vorweg zu nehmen: Über alles gesehen bedeutet das für uns weniger Aufwand für die Einarbeitung in den Arbeitsalltag.
Konkret haben wir insgesamt drei Halbtage für die methodische Begleitung (durch wissenstransfer.ch) und einen Tag durch mich investiert. Damit war es möglich, dass neue Mitarbeitende den Kontext verstanden und sich weiteres Detailwissen strukturiert, effizient und weitgehend selbständig erarbeiten konnten. Der Aufwand für die Strukturierung und das Verstehen des Kontextes war im Verhältnis zum Nutzen klein.
Gut ist auch, dass die Methodik flexibel anpassbar an Gegebenheiten ist: Die Beteiligten bestimmen gemeinsam die für den jeweiligen Anwendungsbereich nützlichste Flughöhe und definieren den Detaillierungsgrad mit. Damit wird der gesamte Prozess ein passender «Massanzug» für die Nachfolge.

Benno AckermannWurde die Einarbeitungszeit dadurch effizienter? Zeitlich verkürzt? Mit weniger Risiken?

Martin Brokatzky: Ja, die Einarbeitungszeit wurde merklich verkürzt, was bedeutet, dass wir eben nicht nur besser, sondern auch effizienter werden.
Wichtiges und kritisches Wissen wird besser verstanden und es ist möglich auf die Schlüsselelemente der Arbeitslandschaft zu fokussieren. Das ist die Grundlage für den weiteren Kompetenzaufbau im Arbeitsalltag.
Die Auslegeordnung hilft, Wichtiges und Unwichtiges zu unterscheiden. Das ist unablässig, um richtig zu gewichten und auf das Kerngeschäft zu priorisieren. Wir haben damit bestehende Risiken optimaler entschärfen können. Gerade unser Geschäft erlaubt diesbezüglich keine Kompromisse.

Benno AckermannDer heutige Arbeitsalltag kann als komplex bezeichnet werden. Wie gelingt es in dieser Komplexität den Überblick zu behalten?

Martin Brokatzky: Dank der Vorgehensweise bei der Visualisierung wird die Komplexität reduziert und damit der Kern einer Tätigkeit «herausgeschält»: Der Kontext wird sichtbar und besser verstanden. Der Einsatz von neuen, digitalen Tools schafft Transparenz und ist die Grundlage auch für den späteren Einsatz, allfällige Weiterentwicklungen und Veränderungen, eben eine gezielte Anwendung im weiteren Arbeitsalltag. Eine korrekt gewichtete Reduktion der Komplexität schafft mehr Sicherheit nach der Übernahme einer neuen Funktion.

Benno AckermannIst der Wissenstransfer eine integrierte Führungsaufgabe, z.B. im Leadership? Oder sollte sich der Bereich HR / Personalentwicklung vermehrt um dieses Thema kümmern?

Martin Brokatzky: Aus meiner Sicht ist das eindeutig eine Führungsaufgabe. Ich fühle mich verantwortlich für meinen Bereich, für das Knowhow und die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden. Diese Funktionen können in letzter Konsequenz nicht delegiert werden. Aber natürlich weiss ich die Unterstützung durch die Personalentwicklung zu schätzen.

Benno AckermannGibt es Unterschiede in der Organisation bezüglich der Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinander zu setzen?

Martin Brokatzky: Prinzipiell ist man sich einig: Wissenstransfer ist wertvoll und ein Vorteil. Aber je nach Organisation ist die Umsetzung schwieriger – vor allem bezüglich verfügbarer Ressourcen. Man kennt das ja mit dem Hühnerhof und den entlaufenen Hühnern: Soll zunächst der Zaun repariert oder die Hühner eingefangen werden? Für beides reichen die Ressourcen nicht. Wie man sich auch immer entscheidet, es ist nicht ideal.
Deshalb ist es wichtig eine Ebene höher anzusetzen. Sprich den Rahmen, die Zeitgefässe für Wissenstransfers zu schaffen. Das ist eben auch eine Führungsaufgabe mit Wirkung: Es muss priorisiert werden, d.h. auf gewisse andere Aktivitäten muss in diesem Moment verzichtet werden. Die erzielbare Effizienzsteigerung kompensiert jedoch den Aufwand mehrfach. 

Benno AckermannWelche Stolpersteine erlebst Du in der Praxis? Wie können diese behoben werden?

Martin Brokatzky: Ich sehe vor allem einen Stolperstein: Wenn Wissensträger (Experten, Schlüsselpersonen) den Prozess der Wissensweitergabe steuern, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es nicht einfach ist, fokussiert auf den Kontext zu bleiben. Manchmal sind dann Details überbewertet oder werden als extrem wichtig beurteilt, nur weil der Bezugsrahmen und damit eine breitere Beurteilung fehlen. Im Dickicht und inmitten von Bäumen zu stehen hilft eben nicht wirklich, die Beschaffenheit des gesamten Waldes zu erkennen. Es besteht die Gefahr in Details hängenzubleiben. Dann ist die Zeit um und der Experte weg, das Wissen auch…
Eine externe Begleitung ohne inhaltliches Vorwissen aber mit Methodenkompetenz hat es einfacher das «Grosse-Ganze» im Auge zu behalten und den Kontext mit allen Beteiligten zu schaffen. 
Meines Erachtens wird ein gut ausgebildeter Wissenstransfer Coach benötigt. Dieser sorgt dafür, dass soweit wie möglich das gesamte relevante Wissen identifiziert, priorisiert und weitergegeben werden kann. Das bedeutet, dass sich die beteiligten Personen auf die Inhalte konzentrieren können, sich dem «Wissens-Bergführer» anvertrauen und entlastet sind vom «…wie machen wir jetzt diesen Wissenstransfer am besten?».

Benno AckermannWie trägt ein Wissenstransfer zu Innovation bei?

Martin Brokatzky: Oberflächlich betrachtet scheint es so, dass damit nur Wissen konserviert wird. Sprich: Altes wird zementiert.
Ich bin jedoch überzeugt, dass das neu erworbene Wissen ein Fundament, eine Basis für gezielte Veränderungen bildet. Wertvolle Innovation entsteht meist nicht durch zielloses Herumprobieren, sondern durch geplante und verstandene Veränderungen, welche dann auch eher zielführend sind.
Ich sehe den Wissenstransfer als Unterstützung von Innovation, als Basis auch für den Bau von «neuen Häusern». 
Es ist mir wichtig, dass dieses Potential genutzt werden kann, die Welt bleibt nicht stehen.

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