10/08/2023
Arbeitsleben
Nicole Eigenmann, HR-Chefin der FIR Group (Fischer Reinach), spricht im Interview über neue Anforderungen an die Rekrutierung und darüber, wie das in der Metallverarbeitung tätige Familienunternehmen seine Attraktivität auf dem Arbeitnehmermarkt steigern will.
Im Gegensatz zu anderen Aargauer Unternehmen sind bei Fischer derzeit nur sehr wenige Jobs ausgeschrieben. Ist der Fachkräftemangel noch nicht in Reinach angekommen?
Nicole Eigenmann: Wir suchen momentan tatsächlich «nur» zwei Mechaniker*innen und eine Person für den Verkaufsinnendienst. Wir können deshalb, nicht so wie andere Industriefirmen, unsere Aufträge zeitgerecht abwickeln. Trotzdem spüren auch wir, dass sich der Arbeitsmarkt verändert; zum Beispiel gehen für eine offene Stelle weniger Bewerbungen ein als früher. Daraus leiten wir die zukünftigen Anforderungen an die Rekrutierung ab.
Welches sind Ihre Erkenntnisse?
Eigenmann: Dass wir unsere Arbeitgeberattraktivität stärken wollen, dies als Teil der HR-Strategie. Wir steuern erstens zusätzliche Kanäle für unsere Jobausschreibungen an, namentlich Social Media wie LinkedIn und Jobplattformen wie jobs.ch. Zweitens schauen wir darauf, dass sich unsere bestehenden Mitarbeitenden weiterbilden können. Und drittens möchten wir in unserem «Lernpark», in dem derzeit 13 Lernende ausgebildet werden, die Palette der Ausbildungsberufe erweitern. Das Ziel sind 19 Lehrstellen.
In-house-Weiterbildungen sind sicher ein Benefit für die Mitarbeitenden. Wie sieht es mit den Lohnerwartungen aus?
Eigenmann: Angesichts der Inflation und des Arbeitskräftemangels kann sich natürlich auch Fischer den Diskussionen um eine Lohnrunde 2023 nicht entziehen. Aber das mit der Weiterbildung ist nicht einfach ein nettes Angebot, sondern eine Notwendigkeit.
Warum?
Eigenmann: Heute bekommt man neue Mitarbeitende nicht mehr «pfannenfertig». Die Aus- und Weiterbildung ist ein Investment, das in Zukunft viel stärker von den Unternehmen getätigt werden muss – gerade wenn man so stark spezialisiert unterwegs ist wie Fischer. Wir evaluieren deshalb, ob wir nächstes Jahr die MEM-Passerelle 4.0 anbieten wollen. Das ist ein berufsbegleitendes, also praxisorientiertes Weiterbildungsprogramm des Branchenverbands Swissmem und seiner Sozialpartner für 28- bis 58-jährige Quereinsteigerinnen und -einsteiger. Auch bestehende Mitarbeitende können sich in den Kursen weiterentwickeln.
Im Recruitment gehen Sie also neue Wege. Welche Anforderungen müssen Kandidatinnen und Kandidaten erfüllen?
Eigenmann: Sie müssen motiviert, bereit zum Lernen und offen für Veränderungen sein. Es kommt heute viel stärker auf das Mindset an als auf Diplome im Lebenslauf und eine lückenlose Karriere. Die nötigen Qualifikationen können wie gesagt innerhalb des Unternehmens erworben werden.
Es kommt heute viel stärker auf das Mindset an als auf Diplome im Lebenslauf und eine lückenlose Karriere.
Flexible Arbeitsmodelle sind in aller Munde, in der produzierenden Industrie aber wohl nur beschränkt möglich, oder?
Eigenmann: Ja, im Schichtbetrieb sind unserem Jahresarbeitszeitmodell natürlich Grenzen gesetzt. Mitarbeitende im Büro können aber Teilzeit und im Homeoffice arbeiten. Zudem bieten wir die Möglichkeit einer gleitenden Pensionierung an: Je nach Funktion und Bedarf können Angestellte über das Rentenalter hinaus auf Stundenbasis weiterarbeiten. Dadurch profitiert Fischer von ihrem wertvollen Know-how.
Die Babyboomer bleiben Ihnen so etwas länger erhalten. Wie gehen Sie mit der Generation Z um, die offenbar lieber weniger als mehr arbeiten will?
Eigenmann: 80 Prozent arbeiten zu 100 Prozent Lohn, das hört man oft (lacht). Wir wurden damit noch nicht konfrontiert. Aber mit Teilzeitarbeit und Jobsharing haben wir viel Erfahrung, wären also vorbereitet. Zudem bieten wir unseren Lernenden neuerdings ein anderes «Zückerchen», nämlich eine Weiterbeschäftigungsgarantie für sechs Monate nach Lehrabschluss, wenn die Leistung stimmt.
In Ihrem Arbeitgeberporträt auf Work Life Aargau bezeichnen sie das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) als USP. Wird das Angebot genutzt?
Eigenmann: Ja. Zusammen mit einem externen Partner haben wir da und dort die Ergonomie am Arbeitsplatz verbessert, und in der Produktion sind wir Rückenprobleme von Mitarbeitenden angegangen. Aktuell klären wir Fitness- und Massage-Angebote ab. BGM wird immer wichtiger: Gemäss einer aktuellen McKinsey-Studie fordert die Generation Z zunehmend psychologische Unterstützung im Job.
Hat es ein Familienunternehmen wie Fischer einfacher als ein börsennotierter Grosskonzern, seine Mitarbeitenden zu halten?
Eigenmann: Eine Kultur des Miteinander zeichnet uns tatsächlich aus. Nach Corona können wir unsere Mitarbeiteranlässe endlich wieder durchführen. Zur Loyalität tragen die kurzen Entscheidungswege bei. Die Treue zum Arbeitgeber ist übrigens ein Asset in der Rekrutierung: Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin ist Botschafter, Botschafterin von Fischer. Ihre individuellen Netzwerke sind interessante Pools von potenziellen Mitarbeitenden der Zukunft.
Ist auf diese Art schon eine Anstellung zustande gekommen?
Eigenmann: Ja, ein deutscher Kollege eines Mitarbeiters hat bei uns angefangen. Er ist sogar in die Region gezogen.
Der Standort Oberwynental ist kein Grosszentrum. Schränkt das die Bewerberzahl ein?
Eigenmann: Unser Einzugsgebiet ist nicht riesig, aus den Ballungszentren kommt fast niemand hierher arbeiten. Das ist auch historisch bedingt: Fischer gibt es seit sieben Generationen, viele Mitarbeitenden wohnen ganz in der Nähe, gehen über Mittag nach Hause essen. Kurze Arbeitswege sind übrigens ein riesiger Vorteil für die Work-Life-Balance, die auf dem neuen Arbeitnehmermarkt eine so wichtige Rolle spielt.